Kommt man mit Triathlon in Berührung, verbindet der Unbehelligte für gewöhnlich nicht gleich rasante Jedermann- oder Sprintdistanzen, phantastische Konkurrenzen über die Kurz- oder Mitteldistanz - vielleicht schon eher die im TV gut repräsentierte ITU-Serie über die Olympische Distanz - mit der Sportart, sondern in erster Linie den Ironman. An erster Stelle denkt die Mehrheit der Bevölkerung an den auf Hawaii gezeugten Mythos. Ein lebendiger und nicht toter Mythos, Traum vieler Triathleten, dessen Nachspürung an keine speziellen Voraussetzungen geknüpft ist. Jede und jeder kann Ironman werden. Eine wesentliche, den Mythos tragende Konstante.
Andererseits könnte man den zu leistenden Beitrag, wegen der notwenigen Kasteiungen, Qualen oder Härten, durchaus negativ überschreiben: Training, Training und noch mehr Training! Insbesondere in den Wintermonaten gemäßigter Breiten offenbart sich die Vorbereitung auf die Königsdisziplin über die magischen 226 Kilometer, auf Grund enormer Trainingsumfänge und dem Erfolgsdruck, als extreme Spielart. Sind Aufwand, Opfer und finanzielle Opfer es wirklich wert, um sich letztlich mit einer Marke zu schmücken? Soll man sich solange disziplinieren, bis endlich die Finisher-Medaille einen Ehrenplatz gefunden hat und Fotos vom Schwimmstart den Hobbykeller zieren?
Die Buchstaben Ironman sind mehr als nur Wort. Das Wort ist ein Begriff, der im kollektiven Massenbewusstsein verschaltet, einen Archetypus darstellt. Schließlich bindet und bündelt er Tugenden wie Kühnheit, Tapferkeit, Abenteuerlust, Vorwärtsdrang, Willenskraft, mentale Stärke, Leistungsmotiviertheit, Zielstrebigkeit, Intelligenz, Gewissenhaftigkeit, Geduld, Realismus und Zähigkeit. Tugenden, die sich auch in den Spitznamen der Weltelite widerspiegeln. „Queen of Kona“ Paula Newby-Fraser, „The Grip“ Mark Allen, „The Man“ Dave Scott, „Stormin´ Normann“ und „Norminator“ für Normann Stadler. „Hell on wheels“ Thomas Hellriegel, „Zackattack“, „Loddl“, uvm. Womöglich ist künftig, im Zuge erfolgreicher Teilnahmen an international reputativ hochwertigen Wettkämpfen, von „Red Alert“ bei den Raelert Brothers die Rede, so dass deren Auftauchen allein in Starterlisten roten Alarm bei der Konkurrenz auszulösen vermag?
Mark Allen, aka „The Grip“ hat den Ironman Hawaii wohl nur so dominiert, wie Paula Newby-Fraser und Dave Scott. Photo: TFrahmS |
Von den positiven Wesenszügen des Mythos durchdrungen scheinen Aufwendungen, Bemühungen und Anstrengungen gerechtfertigt, zumal faszinierende Weltbestzeiten insbesondere Amateure zu beflügeln scheinen. Jeder Cent ist in deren Augen völlig gerechtfertigt investiert.
Muss man sich angesichts der Begeisterung aber nicht auch fragen, weswegen zwar Nicknamen der Langdistanzler im Gedächtnis einer interessierten Öffentlichkeit Platz finden, nicht so hingegen die auf der Kurzdistanz? Verdienen nicht auch Kurzdistanzler, die nicht nur in der ITU-Serie oder bei Olympischen Spielen glänzen, sondern zum Beispiel auch in der Bundesliga für Furore sorgen und damit wesentliche Beiträge zum Aufblühen der genialen Sportart leisten, eine verbesserte Publicity und damit Wertschätzung?
Wer kennt neben Jan „Frodo“ Frodeno, „Schmalzl“, „Paule“ und Co.? Mythos Triathlon? Fehlanzeige!
Sollte tatsächlich nur in der Fachliteratur der Trainingslehre ein annäherungsweise ausgewogenes Verhältnis der Disziplinen herrschen dürfen? Die Zahl der in Deutschland aktiven Triathleten schwankt. Seriöse Quellen nennen 200.000 Aktive (Stand 2009). Selbst bei einer großzügigen Schätzung des Quotienten von Kurz- zu Langdistanzler von 10:1 muss eine Nachjustierung der öffentlichen Wahrnehmung gefordert, angestrebt und auch umgesetzt werden.
Jan „Frodo“ Frodeno gehört schon zu den bekannteren Spitznamen der Olympischen Elite-Triathleten. Mythos? Fehlanzeige! Photo: Delly Carr/ITU Media |
In Anbetracht sensations-konsumierender Gesellschaften, mitverursacht durch sensationssüchtige Medienlandschaften aber, darf, um dem Mythos gerecht zu werden, nicht unerwähnt bleiben, dass es nur einen, den Champion und Weltmeister, geben kann. Nur der Hawaiisieger darf sich Ironman nennen - wenn man die Sache wahrheitsgemäß, katholisch oder konservativ auslegt. Natürlich wird man mit dem Titel Ironman ein Stück weit unangreifbar. Und natürlich ist der Name mehr als nur Marke.
Nachdem ich selbst nach fünf Jahren Vorbereitung die diesbezügliche Prüfung bestanden hatte und schließlich einige Minuten wie hypnotisiert auf das sorgfältig ausgedruckte Papier starrte, welches in schönen Lettern die Teilnahme dokumentiert (Zertifikat), erinnerte ich mich daran, dass es nicht nur die Königsdisziplin ist, auf deren Basis Triathlon eine magische Aura bildet.
Zweifelsohne üben die verschiedenen Distanzen und mannigfaltigen Veranstaltungen, deren Charakter und Flair, spezifische Reize aus. Was aber ist nun allen gemein? Was ist der Kern? Wie sieht der kleinste, gemeinsame Nenner aus? Ist ein Olympionike etwa nicht wie aus Eisen?
Gastbeitrag von Michael Lorenz