Montag, 20. Februar 2012

Schweigen im Blätterwald: Triathlon-Fachmedien halten sich im Fall Lance Armstrong bedeckt

Ein bizarres Schauspiel kann aktuell in den globalen Fachmedien der Triathlon-Szene beobachtet werden. Ausgesprochen schmallippig geben sich - noch - jene Medien, die sich ausdrücklich als unabhängig und kritisch erklären. Das Thema? Die nicht unumstrittene Rückkehr des Superstars im Profiradsport zum Triathlon - Lance Armstrong.
Der Start von Lance Armstrong bringt in der europäischen Triathlon-Szene eine kontroverse Diskussion hervor. In den USA, der Heimat des Texaners sind die kritischen Töne vergleichsweise weniger ausgeprägt. Im Falle einer Ablehnung wird diese aber intensiver und emotionaler kommuniziert. Photo: Xterraplanet.com

Die PR- und Werbemaschine Armstrong bietet exklusiven Zugriff auf ihren einzigen Protagonisten, sie bewegt viel Geld und Werbeetats. Sie hat, um es auf den Punkt zu bringen, zu starke politische Verbindungen, um es sich mit ihr zu verscherzen. Vergleichbares gilt für eine immer mächtiger werdende World Triathlon Corporation (WTC) mit ihren globalen Rennserien im Ironman, Ironman 70.3 und 5150 Triathlon.

Natürlich gibt es Ressentiments gegen den siebenfachen Toursieger, die ihr Momentum aus den gesammelten Dopinganschuldigungen ehemaliger Weggefährten gegen den professionellsten aller Ausdauerathleten beziehen. Sie wurden bisher allesamt energisch, gerne auch mit Unterstützung schlagkräftiger Anwälte, vom Tisch gefegt.

Thomas Kistner folgt in der Süddeutschen Zeitung den möglichen Ursachen für die Einstellung der staatsanwaltlichen Untersuchungen durch Andre Birotte und verortet intensives Lobbying im Fall Lance Armstrong. Kistner veröffentlicht erstmals, dass beim Ironman 70.3 Triathlon Panama lediglich ab Platz 4 auf Doping getestet wurde, Michael Eder greift das Thema für die FAZ (Update vom 20.9.2012, 16:00 Uhr) auf. Eigene Recherchen führten vor Veröffentlichung des Kistner-Artikels zu identischen Ergebnissen. Eine auf meine Anfrage angekündigte Pressemitteilung seitens der WTC ist noch nicht erfolgt (vgl. Nachreichung der PM um 15:00 Uhr *1).

Die Durchführung der Tests auf Doping können als Sonderbehandlung oder zufälliges Ereignis betrachtet werden. Sie sind im kritischer eingestellten Europa mundgerecht zugeschnittenes Kanonenfutter für allerlei Verschwörungstheoretiker, die sich in den von den Schiedsrichtern tolerierten und im offiziellen Videokanal auf Youtube dokumentierten Regelverstößen*2 einmal mehr bestätigt sehen.

Selbst der in der Kommunikation als besonders freundlich geltende Däne Rasmus Henning gibt sich irritiert und spricht von einem Novum bei dieser Form der Dopingkontrolle. Die sich allen Profis stellende Frage einer Ungleichbehandlung, einer Protektion Armstrongs, fällt öffentlich nicht, steckt aber im Subkontext zahlreicher verhalten-besorgter Äußerungen.

Lediglich Torbjørn Sindballe, aus gesundheitlichen Gründen vom aktiven Sport zurückgetreten, stellt sich in den Sozialen Medien öffentlich klar gegen Armstrong und befürchtet eine Wettbewerbsverzerrung und einen Imageschaden für die Sportart.

Armstrong, seit Jahren finanziell unabhängig, wurde in Panama immerhin Zweiter, nur knapp auf der Laufstrecke geschlagen von Bevan Docherty, dem zweifachen Medaillengewinner im Olympischen Triathlon von Athen und Beijing. Er hat ein straffes aber realisierbares Programm geschnürt, das neben mehreren us-amerikanischen 70.3 Triathlons den Start beim Ironman Nizza vorsieht, um sich ausreichend Punkte für den Start beim Ironman Hawaii zu sichern.

Aus Spaß habe ich in der Saison 2011 mit Jürgen Zäck 1:100 auf Sieg und Streckenrekord von Armstrong bei einem etwaigen Kona-Debüt im gleichen Jahr gewettet. Ein Spiel, auf das der Altmeister gepflegter Radperformance nach Panama in dieser Form nicht mehr eingehen mag. Die Quote ist auf mickerliche 1:1 zusammengesackt. Wie wird sie lauten, wenn sich Armstrong gar als Weltmeister im Ironman 70.3 Las Vegas spätestens im September regelkonform ohne Wildcard für Hawaii qualifizieren sollte?

"Nach Panama" - nach Panama ist eine Zäsur im Ironman Triathlon. Es ist der Beginn der kurzen Ära Armstrong, die wahrscheinlich nur in einem einzigen Auftritt bei der WM im Ironman Hawaii Triathlon als Showact der Extraklasse gipfeln wird.

Armstrong ist der PR-Durchlauferhitzer, die zweite Endstufe einer rasant wachsenden Spielart im Triathlon, dessen Eigentümer in den nächsten Jahren den gewinnbringenden Verkauf ihrer Beteiligungen anstreben dürften.

Zweifelsfrei wird durch den Texaner mehr Aufmerksamkeit auf den Triathlon gezogen, als in den letzten 10 Jahren zusammen. Vielleicht finden die Statistiker auch eine signifikante Korrelation, einen "Armstrong-Effekt" bei den Teilnehmerzahlen und der wirtschaftlichen Bewertung des Ironman. Doch zu welchem Preis?

Vielleicht fragt sich in diesen Tagen ITU-Präsidentin Marisol Casado, wie sie die neue Antidoping-Kampagne der International Triathlon Union mit dem Ironman 70.3 Panama und den Wünschen der USADA auf Zugriff staatsanwaltlicher Untersuchungsunterlagen gegen Armstrong auf Deckung bringen soll? Wie kann es sein, dass sich USADA, WTC und Ausrichter vor Ort den Schwarzen Peter gegenseitig zuschieben und nicht dazu beitragen, aufzuklären, wie es zum Auslassen des Podiums bei den Kontrollen kam? Wie treten die Profi-Triathleten auf, die sich gleich auf mehreren argumentativen Ebenen bei Familie, Fans und Sponsoren mit dem Phänomen Armstrong auseinandersetzen müssen. Welche Meinung vertritt der ehemalige Radprofi, geständige Dopingsünder und jetzige WTC-Direktor Rolf Aldag? Vielleicht diskutieren gerade die Damen und Herren der deutschen öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten, wie die Budgetwünsche zwecks Produktion der Ironman-Serie mit dem Informations- und Bildungsauftrag zu vereinbaren sind: "Bitte etwas Kritisches zu Doping einbauen oder so..."

Wie erklärt sich Altersklassenathlet Hans Mustermann in seiner Öffentlichkeit wenn er mit den Radsport und Profitriathleten als Kollateralschaden in einen Topf geworfen wird?

Die Show wird auch nach Armstrong weitergehen, vielleicht hat die Welt des Triathlons nur den Protagonisten bekommen, den sie verdient. Ich werde mich jedenfalls wie auch jeden Juli wenn die Bilder aus Frankreich herüberflackern mit Popcorn bewaffnet auf meine Couch begeben und das Spektakel mit der nötigen intellektuellen Distanz genießen und brav weiter Schwimmen, Radfahren und Laufen. Brot und Spiele! "Das guck' ich mir an, da bin ich dabei."

Vielleicht finden USADA und WADA aber auch vor der WM im Oktober ausreichend Indizien für eine Verfahrenseröffnung. Eine Eröffnung kann unmittelbare Auswirkungen auf Armstrongs Rennkalender haben. Die Kosten-/ Nutzenrechnung der Causa Armstrong kann im Anschluss nach Schließung der Akte erfolgen.


*1 Erklärung der WTC vom 20.02.2012, 15:00 Uhr:

Die Planung der WTC-Tests erfolgt nach den Richtlinien des internationalen WADA Test-Standards. Was die Auswahl der Athleten für die Dopingkontrolle angeht, ist es WTC-Grundsatz Details dazu nicht zu veröffentlichen. Obwohl berichtet wird und wurde, dass es zum Standard gehört, die drei besten Athleten zu testen, gibt es diesbezüglich kein festes Regelwerk. Die Auswahlkriterien ändern sich von Wettbewerb zu Wettbewerb. Dies dient in einem effektiven Dopingprogramm vor allem den Elementen der Abschreckung und Unvorhersehbarkeit von Kontrollen. Die Auswahl für die Kontrollen erstreckt sich üblicherweise von den Top-Athleten bis zu zufällig von der Startliste ausgewählten Testpersonen. Der Testplan in Panama war keinesfalls so ausgelegt, dass einzelne Athleten von einem Test ausgenommen waren.

*2 Lance Armstrong hat durch frühzeitiges Ablegen von Badekappe und Schwimmanzug, Beginn der Radfahrens in der Wechselzone zwischen den Radständern und Beginn des Halbmarathons mit Startnummer in der Hand besonders in der Wechselphase zahlreiche Regelverstöße begangen. Andere Profis haben ebenfalls zu früh die Fahrt mit dem Rad begonnen. Im weiteren Verlauf des Triathlons wurde dieser Regelverstoß bei nachfolgenden Triathleten unterbunden. Armstrong verließ zusätzlich kurzfristig die Radstrecke. Dem enteilten Franzosen Billard folgend, nahm Armstrong an einer Weggabelung den falschen, rechten Abzweig, um nach wenigen Metern querfeldein zurück auf die Strecke zu finden. Kompagnon Chris Lieto nahm in Sichtweite fahrend die richtige, linke Abzweigung. Armstrong sollte sich vor dem nächsten Start intensiv mit dem Regelwerk auseinandersetzen, nicht alle Kampfrichter werden eine Häufung von Regelverstößen tolerieren.