Samstag, 4. August 2012

Olympia Triathlon London: Haug, Dittmer, Bazlen "verschenken" Podium durch fehlende Teamtaktik

Nicola Spirig aus der Schweiz und die Schwedin Lisa Nordén haben den von zahlreichen Stürzen geprägten olympischen Triathlon von London mit einem beherzten Sprint zeitgleich beendet. Die Auswertung des Fotofinishs bestätigte kurz nach Zieleinlauf die Schweizerin aus dem Hause des Erfolgstrainers Brett Sutton als Goldmedaillengewinnerin, die sprintstarke Nordén kann sich über Silber freuen.
Nicola Spirig (SUI) im Hintergrund hatte wenige Tausendstel einer Sekunde entscheidende Körperteile vor Lisa Nordén (SWE) im Ziel. Photo: IOC - LOCOG - Omega Timing
Von den hoch gehandelten Top-Favoritinnen erfüllte die Australierin Erin Densham mit Bronze gerade so noch die exorbitant hohen Erwartungen. Lokalmatadorin Helen Jenkins fiel auf den letzten Metern des Rennens aus den Medaillenrängen heraus. Sie hielt dem riesigem Druck nicht Stand und bestätigte einmal mehr, dass Favoritensiege beim Triathlon von Olympia selten vorkommen. Jenkins konnte trotz zweier abgestellter Helferinnen nicht die erhoffte Goldmedaille am Hyde Park holen.
Anne Haug (GER) kam bei ihrem ersten Einsatz bei den Olympischen Spielen im Triathlon dank einer herausragenden Laufleistung auf den 11. Gesamtplatz und wurde beste Deutsche. Photo: DTU - Petko Beier
Bemerkenswert waren an diesem Tag der zahlreichen Stürze auf den vom nächtlichen Regen rutschigen Abschnitten roten Asphalts aber Details der Renntaktiken einzelner Nationen. Während zahlreiche Athletinnen wie Andrea Hewitt oder auch Jenkins dem hohen Lauftempo von knapp unter 34 Minuten auf den letzten 2 Laufkilomtern Tribut zollen mussten, glänzte die US-Amerikanerin Sarah Groff durch einen progressiven Lauf, der sie wieder zurück in die Spitzengruppe und auf Rang 4 brachte.

Ebenfalls bemerkenswert der Laufsplit der Deutschen Anne Haug, der exakt die Splits der beiden Erstplatzierten spiegelt. Was wäre also möglich gewesen, wenn die Triathletinnen der Deutschen Triathlon Union einer Teamtaktik gefolgt wären? Was wäre gewesen, wenn Svenja Bazlen nicht beständig Führungsarbeit in der ersten Gruppe geleistet hätte, keine Energie in einem halben Dutzend sinnloser "Antritte" vergeudete ohne sich selbst in der Position entscheidend verbessern zu können? Eine oder zwei beherzte Attacken wären an dieser Stelle erfolgversprechender gewesen.
Anja Dittmer (GER) bestätigte mit dem 12. Platz bei ihrem vierten Start im Olympischen Triathlon ihre Zugehörigkeit in der Weltspitze bei wichtigen Rennentscheidungen. Eine Muskelverhärtung im Vorfeld und Krämpfe im Rennen selbst verhinderten möglicherweise das beste Ergebnis ihrer langen Karriere. Photo: DTU - Petko Beier
Was wäre also gewesen, wenn sich eine mit einer Muskelverhärtung im Vorfeld und Krämpfen im abschließenden Laufen herumplagende Anja Dittmer in den Dienst von Haug gestellt hätte? Was hätte Anne Haug, seit den Zeiten einer Sonja Krolik schnellste Läuferin der DTU, am Tag X erreichen können? Sie hat an ihrer Schwimmschwäche gearbeitet, kam mit übersichtlichem Abstand aus dem Serpentine Lake und hatte doch keine Chance an diesem 4. August. Auf dem Rad wurde - wenig überraschend - in der Spitze nicht wie bei so vielen Welt Cup Events gebummelt. Haugs eigene Gruppe harmonierte nicht, nur wenige Triathletinnen waren zu einer Mitarbeit bereit oder fähig. Alles kaum überraschende Umstände, Faktoren mit Ansage: Die DTU war einer Medaille bei Olympia im Triathlon der Frauen noch niemals so nah'.

Die Olympischen Spiele von Rio de Janeiro 2016 erscheinen Lichtjahre entfernt, neue Talente kommen und gehen wie Verletzungen. Ein Wechsel von Haug, die sich ausserhalb der Förderstrukturen der Deutschen Triathlon Union für London qualifizieren konnte, auf ein Non-Drafting Format erscheint möglich.
Svenja Bazlen (GER) leistet sehr viel etwas ungestüm wirkende Führungsarbeit in der ersten Radgruppe ohne sich dabei absetzen zu können. Zeitgleich verhinderte sie den Anschluss der zweiten Gruppe mit Anne Haug. Photo: DTU - Petko Beier
Muss man die Athletinnen und die Verantwortlichen der DTU kritisieren? Ein klares "Jein". Es ist gut und richtig, dass die DTU keine reinen Wasserträgerinnen nominiert, sondern klare und transparente Kriterien formuliert und diese einhält. Gratulation dafür. Die Schweiz hatte mit Daniela Ryf extra eine Helferin für Spirig abgestellt, die aber zu keinem Zeitpunkt auf dem Rad für ihre Teamkollegin in Erscheinung treten konnte. Bereits nach dem Schwimmen lag sie hoffungslos abgeschlagen zurück. Für diese Edelhelferin wurde die individuell stärker einzuschätzende Eidgenössin Melanie Anaheim nicht nominiert. Anaheim, die über die Qualifikationsperiode die wichtigen Punkte zur Entsendung der zweiten Schweizer Athletin gesammelt hat. Ein Umstand der Athleten traurig und wütend machen kann, vielleicht auch destruktiv werden lässt.

Noch desaströser die Bilanz der Gastgeber aus Großbritannien: keine Medaille für Jenkins und zwei Helferinnen, die selbst Platz 26 und 33 erreichten, aber individuell stärkeren Athletinnen vorgezogen wurden. Triathletinnen, die auch hier die Kohlen der maximal verfügbaren drei Startplätze aus der mühseligen Qualifikationsphase für den Gastgeber aus dem Feuer geholt haben und dafür vom Verband abgestraft wurden.

Selbst Australien, wegen ihrer Nicht-Nominierung der Goldmedaillengewinnerin von Beijing Emma Snowsill heftig kritisiert, ist durch Denshams Bronze-Medaille mit einem dicken blauen Auge gerade so davongekommen. Dem eigenen Anspruch wird der 3. Platz nicht gerecht werden.

Es ist aber nicht richtig gewesen, dass die DTU den nominierten Triathletinnen keine Teamtaktik ans Herz gelegt hat oder diese nicht umgesetzt wurde. Ja, Triathlon ist eine Individualsportart. Im Sinne der Chancengleichheit muss sich aber auch der Triathlon in Deutschland der Wirklichkeit stellen. Diese hat erstmalig den Einsatz von Edelhelfern im Olympischen Triathlon gesehen - mit Ankündigung. Das Herrenrennen von London wird noch deutlichere Bemühungen, etwa der Briten um Jonathan und Alistair Brownlee sehen, die bereits im Vorfeld, in den langen Trainingswochen vor London, eine funktionierende Schwimm-Radruppe sondieren. Rio 2016 wird wegen der vielleicht schon dann kürzeren Distanzen und Modi völlig neue Perspektiven für solche Teams eröffnen.

Hat Deutschland wegen eines taktischen Fehlers im Team eine Medaille verloren oder ist die individuelle Verwirklichung der sportlichen Einzelinteressen im Triathlon höher zu bewerten? Eine durchaus knifflige Frage, die verschiedene Interessensgruppen gegenseitig abwägend sehr unterschiedlich beantwortet werden kann...

Eine Antwort kann für alle Triathletinnen, die von Verbänden nicht nominiert wurden, ein schöner olympischer Moment geben. Paula Findlay, kanadischer Senkrechtstarter der Saison 2010, lag nach desaströsem Schwimmen und Radfahren kurz nach Beginn des Laufens weinend an der Seitenbande in den Armen eines Betreuers. Lange an einer Hüftverletzung laborierend kam das große kandadische Lauftalent nicht mehr rechtzeitig für London in Schwung. Das vorzeitige DNF war wenige Herzschläge entfernt. Es ist nicht im Detail bekannt, was der kanadische Betreuer ihr gesagt hat. Findlay trug schließlich den olympischen Gedanken weiter über die Laufstrecke, auf der sie kurze Zeit später von den besten Triathletinnen des Tages überrundet werden sollte, um als 52. und letzte aller 55 Starterinnen unter tosendem Applaus ins Ziel zu kommen. Findlay hat man die Chance auf eine Teilnahme aus Gründen der Teamtaktik nicht genommen. Das Erlebnis und wertvolle Erfahrungen kann ihr kein Mensch streitig machen.

Danke Kanada für den Mut und exakt diesen olympischen Moment, der dem Zielsprint von Spirig, Nordén und Densham nicht nachsteht. Glückwunsch an alle Finisher und Teilnehmerinnen und natürlich an Anne Haug, Anja Dittmer und Svenja Bazlen für die Plätze 11, 12 und 32 für die DTU.

Mittwoch, 25. Juli 2012

Demontage eines Weltmeisters - kritisiert Daniel Unger die Nominierungskriterien der Deutschen Triathlon Union?


Daniel Unger, Triathlon-Weltmeister von Hamburg 2007 führt just in den letzten Tagen vor dem Olympischen Triathlon von London eine PR-Kampagne, die es in sich hat. Es ist vielleicht eine wohlmeinende Kampagne seines Umfelds, gedacht zur Bestätigung der eigenen Leistungen aus der Vergangenheit. Verklärend, frustriert oder eine Mischung. Nur so kann man die kolportierten verbalen und inhaltlichen Aussetzer des Bad Saulgauers verstehen, die in der letzten Wochen kommuniziert wurden.
Daniel Unger kam für die Qualifikation wegen diverser Verletzungen 2011 nicht rechtzeitig genug in Tritt. Ein Infekt verhinderte zusätzlich ausreichend Punkte für die Startberechtigungen wichtiger Triathlons einzusammeln. Aus der Traum von Olympia in London. Photo: Helle Frederiksen
Zuerst versteigt sich ein Lokalredakteur darin in den Nominierunsgkriterien der DTU ein Komplott gegen Unger und für seinen alten Weggefährten und Kaderkollegen Maik Petzold zu sehen. Wenige Tage vor der Eröffnungszeremonie, schmerzt Unger die Erinnerung an die versäumten Spiele von Athen offenbar so sehr, dass er die vertane Chance von London als Déjà-vu-Erlebnis wahrnimmt. 2004 musste er schon einmal auf einen Start bei Olympia verzichten. Damalige offizielle Diagnose: Pfeiffersches Drüsenfieber.
Die Tiefschläge gen Kienbaum kommen in einer Phase, in der seine ehemaligen Teamkollegen sich nur auf drei Dinge konzentrieren sollten: Training, Regeneration und die bestmögliche Gesundheit. Die Lokalredaktion aus Ungers Heimatstadt sieht dies offenbar anders: "Doch die DTU verzichtete auf eine Nachnominierung – wohl auch weil Thiel sicher gehen wollte „seinen“ Schützling Maik Petzold nach London zu bringen. Denn die DTU hatte vor dem Rennen in Madrid die Olympia-Qualirichtlinien verschärft und kündigte an: „Sonst ist Petzold nominiert“, so die DTU. Petzold wurde in Madrid Sechster – wohl zur Erleichterung Thiels und der DTU" muss auch ein Maik Petzold lesen.

Dieser kann sich folgerichtig einen Kommentar auf Facebook nicht verkneifen. Der hausgemachte Mini-Sturm im Wasserglas ist da: "echt schade was ich in deisem bericht lesen muß. ich wäre liebend gerne gegen daniel angetreten, egal wo! so jedenfalls nicht wie es im bericht steh,t ich brauche mich vor niemanden verstecken und der verband hat alles getan um daniel ein faire chance zu bieten, doch er hat es wie schon die letzten vier jahre nicht verstanden seine chance zu nutzen!"

Unmittelbar nach besagtem Triathlon in Immenstadt wetterte Unger gegen die ehrenamtlichen Kampfrichter, die ihn ungerechtfertigter Weise auf der Radstrecke bei den Deutschen Meisterschaften über die Mitteldistanz mit einer Zeitstrafe belegt haben sollen. Unger, schon bei Aussprache der Zeitstrafe von der sportlichen Konkurrenz auf dem Rad unter Druck gesetzt,* protestierte mit einem Ausstieg: DNF. „Ich will damit ein Zeichen setzen. Denn die Zeitstrafe war absolut ungerechtfertigt. Das kann ich nicht akzeptieren. Es kann nicht sein, dass Amateur-Kampfrichter uns Sportlern durch unsinnige Entscheidungen das ganze Wettkampfwochenende versauen. Hier muss sich was ändern“.

Wer im Glashaus sitzt: Unger muss sich und seine Rolle finden, sich in der Riege der Langdistanzathleten neu erfinden und definieren. Ein Weg ist die Fokussierung auf wesentliche Dinge, wie Training und Regeneration. Tut er dies nicht, werden auch weiter Sportkollegen bei diversen Triathlons an dem ehemaligen ITU-Weltmeister vorbeiziehen und Lokalredakteure unsinnige Texte schreiben, die haften bleiben. Immenstadt war ein erster Fingerzeit auf die aktuelle Hackordnung in Triathlon-Deutschland.

Gönnen wir Daniel Unger diese Zeit, wie er sie sich ebenfalls gönnen sollte und auch seinen ehemaligen Teamkollegen ihre Zeit vergönnt sein möge. Die Fenster im Spitzensport sind wahrlich kurz genug offen für Top-Leistungen...

* Update vom 25. Juli 2012: Aktuell gehen von verschiedenen Augenzeugen vor Ort die Meinungen deutlich auseinander, ob Daniel Unger zum Zeitpunkt des DNF auf dem Rad in Führung liegend unter Druck gewesen sei oder nicht. Ich war nicht vor Ort und kann mich nur auf mehrere grundsätzlich zuverlässige Quellen stützen. Eine entsprechende Anfrage an das Management konnte den Sachverhalt bisher noch nicht weiter aufklären.


In einer ersten Version des Artikels lautete der Titel "Demontage eines Weltmeisters - Daniel Unger kritisiert Nominierungskriterien der Deutschen Triathlon Union". Dieser ist insofern nicht gerechtfertigt, als dass ein Journalist der Lokalredaktion die Spekulationen zur Nominierung und ihren Kriterien vorantreibt.